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Von Kammerzwergen und einer Königin ohne König
PRETZSCH - Der Landkreis Wittenberg ist reich an Geschichte, auch neben Luther und Wörlitz. Viele Schlösser künden von einer großen Vergangenheit. Aber es gibt nur eines, das königlichen Glanz hatte - Pretzsch an der EIbe. Wie viele unserer Schlösser lässt sich auch Pretzsch auf eine mittelalterliche Burg zurückführen. Diese lag am Kreuzungspunkt zweier Handelsstraßen, die hier die EIbe querten und ist bereits für 981 bezeugt. 1325 wird die Familie v. Löser mit Pretzsch belehnt, dass die nächsten 322 Jahre im Familienbesitz bleiben sollte. "Er ist von der Faust hurtig, von Rat listig" - das Urteil aus der Feder Kaiser Maximilians 1. mag Hans v. Löser auf Pretzsch (gestorben 1541) zutreffend beschrieben haben.
Anhänger der Reformation
In der Reformationszeit sah die alte Burg manch berühmten Ankömmling. Martin Luther, Philipp Melanchthon und Justus Jonas sind als Gäste bezeugt. Sie führten hitzige Diskussionen mit dem Hausherrn, ja, die Wittenberger Theologen werden gekämpft haben, um Löser vom neuen, rechten Glauben zu überzeugen. "Fällt Löser, fällt der sächsische Adel", mögen sie gedacht haben. Denn in 13 Generationen stellte die Familie Löser den sächsischen Erbmarschall, den protokollarisch ranghöchsten Adligen in Sachsen (etwa zu vergleichen mit dem Präsidenten des Landtags). Martin Luther und Hans v. Löser verband bald innige Freundschaft, beizeiten war Löser ein "feuriger Anhänger der Reformation". Luther persönlich traute ihn und seine Gemahlin Ursula v. Porzig (1524), später stand man sich wechselseitig bei den Kindern als Pate. Das heutige Schloss hat Luther nicht gekannt. Reste des Yorgängerbaus (errichtet um 1380) sind im Mauerwerk zwar enthalten, doch seine Gestalt verdankt es im Wesentlichen einem großzügigen Neubau in den Jahren 1571-75. Die überaus stattliche Anlage steht dabei symbolisch für die Stellung der Lösers im sächsischen Adel. Nachdem der Dreißigjährige Krieg das Pretzscher Land verwüstet hatte und Erbstreitigkeiten die Lösers entzweiten, veräußerten sie Schloss und Gut im Jahre 1647 an Wolf Christoph v. Arnim, den Kommandanten der Festung Pleißenburg (Leipzig). Von dessen Söhnen kam es durch Tausch in kursächsischen Besitz.
Was 100 Jahre später Friederike von Anhalt-Zerbst für Coswig war, das war Christiane Eberhardine von Sachsen für Pretzsch. eine wahre Mutter für Stadt und Umland. Erhebliche Mittel investierte die Fürstin in die Stadt, um noch sichtbare Folgen des Dreißigjährigen Krieges zu tilgen. Pretzsch war ihr Exil, doch den Weg hatte sie freiwillig angetreten. Seit 1693 war Christiane Eberhardine mit dem sächsischen Kurfürsten Friedrich August 1. vermählt. Ihr Ehemann, landläufig bekannt als "August der Starke", konvertierte zum katholischen Glauben, um die polnische Königskrone annehmen zu können. Christiane Eberhardine hingegen hielt am protestantischen Glauben fest und schlug damit die Königswürde in Polen aus. Fast vollständig zog sie sich vom kurfürstlichen Hof zurück und lebte zuerst auf Schloss Hartenfels in Torgau, dann aber auf Pretzsch.
Mit der Geburt des Thronfolgers 1696 hatte sie auch gleichsam ihre dynastische Pflicht getan. Nur zu
gelegentlichen Anlässen reiste sie noch nach Dresden. Pretzsch wurde damit Nebenresidenz, die Stadtkirche zur Hofkirche umgebaut. Im kleinen Örtchen entfaltete sich nach dem Vorbild des kurfürstlichen Hofs ein reges kulturelles und geistliches Leben. Die Namen der in Pretzsch arbeitenden Künstler Pöppelmann und Permoser sind deshalb unmittelbar mit Werken am Dresdner Hof verbunden.
Fürstliches Leben im Barock hatte mitunter Züge, die heute skurril anmuten: Zu Eberhardines ständigen Begleitern gehörte der "Leibkammerzwerg" Johann Tramm. Als Geschenk ihres Vaters, des Markgrafen von Bayreuth, war Tramm der Hochzeitstorte entstiegen. Keinen Meter groß soll er gewesen sein. Doch bekannt wurde die Kurfürstin durch ihre Treue zum protestantischen Glauben. So ließ sie aus Angst vor einecRe-Katholisierung der Sachsen protestantische Gebetsbücher drucken und kostenlos verteilen. In den Augen ihrer Untertanen avancierte sie zur Bewahrerin des lutherischen Glaubens. Protestanten und Katholiken nannten sie "Betsäule Sachsens", was die einen als Ehrennamen meinten, die anderen als Spott. Vereinsamt starb Christiane Eberhardine im Alter von 55 Jahren. Sie wurde am 6. September 1727 in Pretzsch bestattet. Weder Ehemann noch Sohn erschienen zu ihrer Beisetzung.
Ein seltener Glücksfall
Danach stand das Schloss lange leer, nur vorrübergehend wurde es vom sächsischen Hof genutzt. Mit dem Wiener Kongress fiel Pretzsch 1815 an den preußischen Staat, zwölf Jahre darauf wurde das gesamte Schloss gelände dem Königlich Preußischen Militärwaisenhaus gestiftet. Spätere Umnutzungen als Harmoniumfabrik,
S S-Grenzpolizeischule,Lazarett und schließlich wieder Kinderheim brachten keine großen baulichen Veränderungen.Ein seltener Glücksfall.
Problemfall Park
Heute ist das Schloss im Landesbesitz und dient als Schule, die landeseigene Salus GmbH betreibt in den Nebengebäuden ein Kinder-und Jugendheim. Für Dr. Mario Titze vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie ist Pretzsch etwas ganz Besonderes: "In seiner historischen und künstlerischen Bedeutung ragt Schloss Pretzsch weit über Sachsen-Anhalt hinaus", sagt er. "Ich denke da nur an die bemalten Holzbalkendecken von seltenster Qualität. Pretzsch hat noch große Potentiale, wie die Hofkirche oder der wertvolle Park, der sich leider nicht wie erwartet entwickelt hat." Der Schlosspark gehört zu den 40 Garten-und Parkanlagen des Netzwerks "Gartenträume Historische Parks in Sachsen-Anhalt". Damit soll das gartenhistorische Erbe Sachsen-Anhalts wiederentdeckt und entwickelt werden.
Einst gehörte der Pretzscher Schlosspark zu den Glanzlichtern mitteldeutscher Gartenarchitektur. Unter Christiane Eberhardine zu Beginn des 18. Jahrhunderts angelegt, kam so ein weiteres Stück Dresdner Barock in die Provinz. Wasserführende Kanäle und Becken, sorgfältig gestutzte Hecken und Sandsteinputti aus der Werkstatt Balthasar Permosers, Pretzsch erfüllte königliche Ansprüche. Doch um 1800 wurde die gesamte Gartenanlage im "besten englischen Stile" durch sächsische Hofgärtner landschaftlich überformt. Dafür wurden die Wasserbecken verfüllt und an die Stelle der geometrisch geschnittenen Formgehölze trat eine reiche Artenvielfalt neuer Gehölzarten und botanischer Raritäten, geschwungene Wege lösten die klaren barocken Wegeführungen ab.
Durch die Eindeichung der EIbe und die Nutzungen des 19. und 20. Jahrhunderts veränderte sich das Erscheinungsbild der Park-und Gartenanlage wesentlich. Trotzdem sind noch Grundstrukturen des Landschaftsparks und des barocken Lustgartens zu finden. Nach der aufwendigen Sanierung des Schlosses vor wenigen Jahren sollte nun der Park im Fokus von Land und Kommune stehen.
Der Park ist ganzjährig frei zugänglich. Aufgrund seiner heutigen Nutzung ist Schloss Pretzsch keine touristische Einrichtung. Für angemeldete Gruppen besteht aber die Möglichkeit einer geführten Besichtigung des Schlosses im kleinen Rahmen. Eine computergesteuerte Visualisierung des Schlossparks um 1725 kann man unter www.pretzsch3d.de erleben.
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